«Ich bin vor kurzem vierzig geworden. Erstmals diagnostiziert wurde meine Krankheit vor rund zehn Jahren. Es gab also eine lange Zeit des «gesunden» Lebens zuvor. Ich war schon immer einer, der ziemlich viel gleichzeitig macht, Vieles anreisst, vielleicht auch nicht mit allem fertig wird, aber grundsätzlich unterscheidet einen das ja nicht von anderen Menschen. Vor zehn Jahren wollte ich eine Auszeit, habe meinen Job gekündigt und bin auf eine grosse Reise gegangen. Zuerst war ich in sehr ruhigen Regionen unterwegs, ein gemächliches Leben mit wenig äusseren Reizen. Nach einigen Wochen bin ich in eine Grossstadt gefahren. Da war plötzlich alles völlig überdreht, Tag und Nacht herrschte Lärm, ich wohnte in einem günstigen Hotel, wo es nie ruhig war, konnte kaum schlafen, und irgendwann habe ich meinen Laptop nicht zum Laufen gebracht und ihn in meiner Wut aus dem ersten Stock geschmissen. Ich bin ziemlich durchgedreht. Die Polizei kam, ich wurde in eine Klinik gebracht, und dort erhielt ich diese Diagnose: bipolare Störung.
Es folgten wechselhafte Jahre. Nach einem Klinikaufenthalt in der Schweiz ging es mir besser, ich wurde ambulant behandelt. Anfangs habe ich meine Krankheit nicht akzeptiert und wollte schnell von den Medikamenten weg. Ich fühlte mich gut, ich dachte, «das Ganze kommt schon gut». An die Diagnose habe ich nicht recht geglaubt. Aber es ist eben nicht gut gekommen. Es folgte eine depressive Phase. Das war das Schlimmste, was ich jemals erlebt habe. Ich hatte überhaupt keinen Antrieb mehr und Suizidgedanken. Damals bin ich ins «Schlössli» gekommen, was insgesamt eine gute Erfahrung war, eine schöne Umgebung, ein guter Umgangston in der Klinik. In der Zeit zwischen der depressiven und der manischen Phase habe ich mich viel mit Literatur zur bipolaren Störung auseinandergesetzt und habe angefangen, meine Krankheit zu akzeptieren. Danach war ich wieder in ambulanter Behandlung. Trotzdem folgte, womöglich wegen einer nicht korrekt eingestellten Medikation, eine manische Phase. Ich landete in der Psychiatrischen Uniklinik. Dort war es schrecklich für mich. Ich fühlte mich eingesperrt, es waren zu viele Leute da, man hatte nie seine Ruhe. Ich habe mir geschworen: «nie wieder!»
Seither nehme ich meine Medikamente zuverlässig und habe die Medikation in Zusammenarbeit mit dem Psychiater optimiert. Die Medikamente halten mich von den Extremen ab. Ich habe geheiratet, eine Familie gegründet, bin berufstätig, gehe meinen Hobbys nach, habe Freunde. Heute geht es mir gut. Schwierig an dem ganzen Prozess war vor allem, dass man anfangs denkt, man sei allein auf der Welt. Da hat mir eine Selbsthilfegruppe geholfen. Wir haben uns wöchentlich, später seltener gesehen. Meine Frau, meine Kinder und meine Freunde wissen Bescheid und geben mir Halt. Ich kann mich mit ihnen austauschen. Ich merke relativ gut, wenn sich eine manische Phase aufbaut. Dann halte ich die Abende frei, versuche mehr zu schlafen und habe auch Strategien gegen das Gedankenkreisen gelernt.
Meine Ärztin im Clienia PZW sehe ich alle drei Monate. Da geht es vor allem darum, meinen Gesundheitszustand und die Medikation zu überwachen, und natürlich weiss ich, dass ich dort im Notfall Hilfe holen könnte. Die Pandemie hat mich persönlich nicht gross belastet. Ich habe ein stabiles privates Umfeld, einen sicheren Job, und ich bin generell ein optimistischer Mensch. Wichtig für jeden Patienten mit dieser Diagnose finde ich, dass man die Krankheit akzeptiert. Eine Patientenverfügung mit Angaben für entsprechendes Handeln bei sich veränderndem Zustand ist für das Umfeld und einen selber hilfreich. Die Krankheit «geht nicht wieder weg». Sie gehört zu einem, aber man ist auch nicht der einzige, und man kann etwas dagegen tun. Andere müssen wegen anderen Leiden auch regelmässig Medikamente einnehmen. Dass einem niemand äusserlich ansieht, dass man diese Krankheit hat, ist ein Vorteil. Ohne Medikamente zu leben, mich selber und mein Umfeld diesen Extremphasen auszusetzen, das wäre nicht mein Ding. Aber da kann ich natürlich nur für mich sprechen.»
Teil 1: Bipolare Störung: Symptome und Diagnose