Demenz: die Geschichte eines Patienten

Demenz: die Geschichte eines Patienten

«Angefangen hat das Ganze mit einer Depression», erzählt Frau P.* am Esstisch der hübschen Wohnung. Eigentlich habe sie aber schon fünf oder sechs Jahre vorher erste Anzeichen bemerkt, dass ihr Mann, den sie seit 38 Jahren kennt, sich verändere. Da war er um die 50 und voll berufstätig, die beiden Töchter waren um die 20 Jahre alt. «Er hat immer mehr Dinge vergessen. Ich hatte das Gefühl, was ich sage, geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus», umschreibt sie. Und er habe immer mehr Überstunden geleistet, die sie sich nicht erklären konnte. «Ich habe unseren Hausarzt gebeten, mit ihm zu reden. Aber mein Mann hat alles abgewiegelt, und der Arzt sah keinen Grund zur Sorge.» Dass es hierzu eben doch Grund gab, zeigte sich, als Herr P. im Zuge einer Massenentlassung die Kündigung erhielt. «Mir war bald klar: So ablenkbar, langsam und vergesslich wie er ist, findet er keine Arbeit mehr», erzählt Frau P., «so sind wir an die Memory Clinic des Clienia Psychiatriezentrums Wetzikon gelangt.» Diagnostiziert wurde nicht nur die Depression, sondern vor allem die kognitive Einschränkung. «Dass ich unter Demenz leiden soll, das war ein Schock», sagt Herr P., der selten ins Gespräch eingreift, aber sehr genau zuhört.  «Wir hatten Angst», bestätigt seine Frau, «vor allem vor dem jahrelangen Abschiednehmen, das uns bevorstand. Wie soll man damit umgehen?» Hinzu kam die Ahnungslosigkeit in Bezug auf die Erkrankung. «Früher hat man halt gesagt, der wird jetzt langsam doof», sagt Herr P. und lächelt nachsichtig, «oder dass das erst im hohen Alter kommt. Beides ist völlig falsch. Aber man weiss es nicht.» Frau P. bestätigt: «Ich fände wichtig, dass man mehr über Demenz wüsste. Woran man sie erkennt, oder dass es Verhaltensweisen gibt wie Suchtmittelkonsum, die sie fördern können. Betroffene können das lange verstecken. Das Umfeld hat zwar ein seltsames Gefühl, aber keine Gewissheit.»
Hinzu kam für das Ehepaar der «amtliche Wahnsinn», der bis heute andauert, wie Frau P. schildert: «Das hat mehr Kraft gebraucht als die Krankheit selbst. Zum Beispiel das Finanzielle, die ganzen Gesuche, Bewilligungen, herauszufinden, was uns zusteht, wo wir entlastet werden, wer uns helfen kann.» Herrn P. hat das Misstrauen besonders verletzt: «Es gab sogar Leute, die meinten, ich sei gar nicht krank», sagt er, «und wolle nur nicht arbeiten. Eine Demenz sieht man halt nicht, und ich kann es gut überspielen im Gespräch.» Tatsächlich fällt die Krankheit wenig auf, da Herr P. während des Plauderns immer die Aussagen der anderen bestätigt, aber wenig eigene macht.
In den Jahren seit der Diagnose hat sich Herrn P.s Zustand langsam, aber stetig verschlechtert. Was gestern noch möglich war, klappt heute nicht mehr. Mit welchem Knopf wird das Radio angestellt? Wie funktioniert die Kaffeemaschine? Wie rollt man den Gartenschlauch ein? «Es verläuft stufenweise», sagt Frau P., «im gewohnten Umfeld geht es, aber Veränderungen sind nicht möglich.» Das ist für die beiden weniger ein Problem als für ihr Umfeld. «Viele Freunde haben sich komplett zurückgezogen», sagt Frau P., «sie wissen nicht, wie mit der Sache umgehen.» Noch kann Herr P. zu sich selbst schauen, aber er verlässt das Haus selten allein. Das meiste erledigen die beiden gemeinsam. Belastend sei dies an sich nicht: «Natürlich gibt es Konflikte, wenn der eine so auf die andere angewiesen ist. Aber wir haben im Leben viel gearbeitet und hatten wenig Zeit für einander. Diese bekommen wir jetzt geschenkt», sagt Frau P. Auf gewisse Dinge müsse man eben verzichten. Sie würde sich zum Beispiel eine engere Beziehung zu den Enkelkindern wünschen, aber Herr P. verträgt die Kleinkinder schlecht. 
Alle sechs bis zwölf Monate sieht das Paar den behandelnden Psychiater der Clienia. Die Situation wird besprochen, Tests werden durchgeführt, Medikamente verschrieben. «Was mir imponiert», sagt Frau P., «ist, dass unser Arzt keine Handlungsanweisungen gibt. Er fragt einfach beharrlich nach, bis wir selber Lösungsideen entwickeln. Wüsste ich aber nicht mehr weiter, dann wäre er für mich da. Und so muss das sein.» Herr P. nickt und lächelt zustimmend.
Frau P. hat ihren Weg mit dem schleichenden Abschied gefunden. «Für mich gehört das, was wir jetzt erleben, zum Versprechen, das wir einander gegeben haben. Und daran werde ich festhalten, solange meine eigene Kraft reicht», sagt sie.
* Name geändert .

Teil 1: Demenz: Symptome und Diagnose

Teil 2: Demenz: Ursachen und Verlauf

Teil 3: Demenz: Behandlung

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