Frühe Psychosen im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik

Frühe Psychosen im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik

Im letzten Teil des Blogs wurde die Definition einer Psychose und deren Bedeutung im Kindes- und Jugendalter besprochen. In diesem Teil konzentrieren wir uns auf die frühen Symptome einer Psychose und deren Diagnostik.

Bei dem erstmaligen Auftreten einer schizophrenen Erkrankung lässt sich in über 70% der Fälle rückblickend eine Prodromalsymptomatik feststellen, die im Durchschnitt 5 Jahre andauert. Während dieser Phase treten unspezifische Symptome auf, wie z.B. Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit, Antriebsminderung, sozialer Rückzug, depressive Stimmung, Schlafstörungen, Ängste, Misstrauen oder Reizbarkeit. Dadurch können bereits Schwierigkeiten in der Schule, bei der Ausbildung, im Beruf oder im sozialen Umfeld auftreten, die mit erheblichen Beeinträchtigungen für die Betroffenen einhergehen.

Neben diesen unspezifischen Symptomen sind spezifische Hochrisikosymptome (HRS) oder Ultra-Hochrisikosymptome (UHR) abzugrenzen. Zur Einschätzung von Ultra-Hochrisikosymptomen wurden Kriterien beschrieben, die es Untersucherinnen / Untersuchern ermöglichen, eine Zuordnung vorzunehmen. Hierzu gehören das Vorliegen abgeschwächter (attenuierter) Positivsymptome für einen bestimmten Zeitraum. Dies können beispielsweise ungewöhnliche Denkinhalte oder wahnhafte Ideen sein, die nicht mit vollständiger Überzeugung gehalten werden, oder Wahrnehmungsabweichungen, bei denen noch eine vorhandene Einsicht in die abweichende Natur besteht. Des Weiteren gehören zu den UHR-Kriterien vorübergehende (transiente) psychotische Symptome wie Halluzinationen, Wahn oder formale Denkstörungen, die sich nach kurzer Zeit wieder zurückbilden.

Eine weitere Möglichkeit, ein Prodromalstadium zu erkennen, besteht in der Beurteilung sogenannter Basissymptomkriterien. Bei diesem Vorgehen werden Beeinträchtigungen im Gedankengang und der Wahrnehmung erfasst. Dazu gehören u.a. auch neu aufgetretene Störungen in der Sprache, Störungen der Symbolerfassung oder Derealisationen (verfremdete Wahrnehmung der Umwelt).

Für beide Möglichkeiten (Erfassung der UHR oder der Basissymptomkriterien) besteht bei Erfüllung der Kriterien ein ca. 20%iges Risiko für die Entwicklung einer Psychose im darauffolgenden Jahr. Die kombinierte Erfassung von UHR und kognitiven Basissymptomen verbessert die Einschätzung eines Psychoserisikos. Für beide Verfahren wurden Diagnosetools entwickelt und vor allem bei Erwachsenen evaluiert. Entsprechend können sie bei Erwachsenen das Risiko für die Entwicklung einer akuten Psychose relativ gut einschätzen. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Einschätzung dieses Risikos mit diesen beiden Diagnosetools schwieriger. Kinder und Jugendliche befinden sich noch in Entwicklung, wobei das vorübergehende Auftreten von schizophrenieähnlichen Symptomen durchaus entwicklungsgerecht sein kann.  Es ist zum Beispiel vollkommen altersüblich, dass ein 5- jähriges Kind mit seinem imaginären Freund spielt oder ein 13- jähriges pubertierendes Mädchen sich zeitweise zurückzieht. 8-10% der Kinder und jüngeren Jugendliche berichten auf Nachfragen von isolierten akustischen Halluzinationen, ohne dass eine psychotische Erkrankung vorliegt. Deshalb ist es wichtig, dass bei Kindern und Jugendlichen, bei denen der Verdacht auf Vorläufersymptome einer Psychose besteht, eine genaue diagnostische Abklärung stattfindet, welche die persönliche, schulische und psychosoziale Entwicklung evaluiert.

Nach einer Prodromalphase kann sich eine akute Psychose mit dem Vollbild von Positiv- und Negativsymptomen entwickeln, die durch eine geeignete Therapie im Optimalfall zu einer sogenannten Remission führen kann. Unter Remission versteht man die Wiederherstellung des normalen Funktionsniveaus vor der Erkrankung, wobei aber noch immer ein erhöhtes Risiko für einen erneuten Rückfall besteht.

Frühe Psychosen im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik

In der Abbildung ist der Beginn und Verlauf einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis dargestellt. Die senkrechte Achse stellt den Schweregrad der Symptome dar, eingeteilt in uncharakteristische und charakteristische Frühsymptome, abgeschwächte psychotische Symptome und das Vollbild einer Psychose. Die waagerechte Achse stellt den Zeitverlauf dar. Die gestrichelten Linien zeigen mögliche Verläufe einer Remission (Rückbildung der Krankheitssymptome). Die schmale durchgezogene Linie stellt den Verlauf einer Teilremission dar. Outcome ist gleichbedeutend mit dem Abschluss des Krankheitsverlaufs bzw. dem Behandlungserfolg.

Teil 1: Symptome

Teil 3: Therapie

Teil 4: Geschichte einer Patientin

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