Der erste Beitrag zum Thema Ketaminbehandlung beschäftigt sich mit der Indikation sowie der Wirkungsweise einer Ketaminbehandlung.
Ketamin ist ein Narkosemittel, das seit mehreren Jahren (erstmalig synthetisiert 1962 in den USA) in der Anästhesie und in der Schmerzbehandlung bekannt ist. Seit einigen Jahren wird das Medikament aufgrund seiner nachgewiesenen antidepressiven Wirkung vermehrt auch im psychiatrischen Bereich eingesetzt, wobei die Dosierung als Antidepressivum deutlich tiefer liegt als in der Anästhesie. Eine Behandlung mit Ketamin oder mit seinem Isomer (Esketamin; Spravato® Nasenspray) setzt eine ärztliche Abklärung voraus. Die Indikationsstellung für die Ketamin-Therapie erfolgt durch den Arzt im ambulanten oder stationären Setting unter Berücksichtigung der Kontraindikationen.
Indikation einer (Es)Ketaminbehandlung
Die Behandlung psychischer Erkrankungen basiert auf drei Therapiesäulen, nämlich Psychopharmakotherapie, Psychotherapie und Soziotherapie. Darüber hinaus können auch bei speziellen Indikationen die interventionellen Behandlungsmethoden angewendet werden, die bereits in unseren jüngeren Blogbeiträgen angesprochen wurden.
Eine (Es)Ketaminbehandlung als ein Teil der Psychopharmakotherapie wird mittlerweile in vielen Kliniken der Schweiz angeboten und wird noch in diesem Jahr in der Clienia Schlössli verfügbar sein. Die Indikation beschränkt sich im Alltag im Wesentlichen auf eine therapieresistente Depression und auf chronische Schmerzstörungen. Vielversprechende Ergebnisse sind auch bei anderen Krankheitsbildern zu verzeichnen, wie z.B. bei Suchterkrankungen und Traumafolgestörungen, die aktuell jedoch noch keine breite klinische Anwendung gefunden haben.
Eine depressive Störung ist eine sehr häufige Erkrankung, und bei ca. einem Drittel der Betroffenen kommt es mit der Zeit zu einer Therapieresistenz. Im Vergleich zu herkömmlichen Antidepressiva scheint die hiesige Behandlungsmethode sogar eine höhere Ansprechrate zu haben, was den Patientinnen und Patienten eine neue Perspektive, Steigerung der Lebensqualität und den Erhalt der stets angestrebten Funktionsfähigkeit ermöglichen kann. Leider ist es immer noch nicht möglich, das Therapieansprechen im Vorfeld genau zu prognostizieren, da wir aktuell noch über keine zuverlässigen Prognosefaktoren oder Biomarker verfügen.
Eine Behandlung mit Ketamin (als eine Infusion oder ein Nasenspray) ist in der Schweiz weiterhin ein experimenteller Ansatz, und die Entscheidung für die Behandlung wird immer individuell gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin getroffen. Die Behandlung mit Esketamin (Spravato® Nasenspray) ist in der Schweiz hingegen bei einer Depression mit einem therapieresistenten Verlauf eine zugelassene Behandlungsoption (eine sogenannte “dritte Linie der Behandlung”). Seit dem 1. Oktober 2022 ist dafür mit einer erteilten Kassenzulassung nur noch ein vereinfachtes Kostengutsprachegesuch bei der Krankenkasse einzureichen.
Wirkung von (Es)Ketamin
Ketamin ist vor allem als Narkosemittel bekannt, weshalb sich die Frage stellt, inwiefern es psychische Erkrankungen positiv beeinflussen kann. Studienergebnisse zeigen, dass Ketamin die Neuroplastizität fördern sowie verbessern kann. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Veränderbarkeit der neuronalen Verbindungen im Nervensystem. Dadurch wird das Gehirn anpassungsfähiger, dies führt auch zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit.
Ketamin besteht im Verhältnis 1:1 aus dem (S)- und (R)-Ketamin. Esketamin ((S)-) als die Reinsubstanz wirkt durch eine weiterführende chemische Aufbereitung doppelt so stark wie Ketamin selbst. R-Ketamin ist weniger potent und wird auch mit Nebenwirkungen, primär im Bereich der Anästhesie, assoziiert. Dieser Aspekt ist bei psychiatrischen Indikationen und niedriger Dosierung basierend auf der breiten klinischen Erfahrung nahezu vernachlässigbar.
Die Hauptwirkung von Ketamin und Esketamin fokussiert sich auf die Blockade von Glutamatrezeptoren, der sogenannten NMDA-Rezeptoren. Glutamat ist ein stimulierender Botenstoff im Gehirn und ist unverzichtbar beispielsweise bei der Vermittlung von Sinneswahrnehmungen oder für die höheren Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnis. Die Folgeeffekte der Blockade sind dabei besonders interessant. Einerseits kommt es zu einer vermehrten präsynaptischen Glutamat-Ausschüttung, anderseits zu einer Aktivierung des weiteren Signalweges (Rapamycin-Signalweg), der eine vermehrte Bildung von Synapsen und Signal-Eiweissen vermittelt. Die Erkenntnisse zu dem Rapamycin-Signalweg liessen sich von Tierexperimenten ableiten, sind aber noch teils inkonsistent und die Übertragung von diesem Erklärungsmodell auf den Menschen ist teils ungewiss.
Bei den klinischen Aspekten lässt sich ein wesentlich schnellerer Wirkungseintritt im Vergleich zu allen anderen konventionellen Antidepressiva hervorheben. Die Angaben zum Wirkungseintritt der (Es)Ketamintherapie variieren dabei jedoch stark und liegen zwischen wenigen Stunden (eine sogenannte „Hit-and-go-Wirkung“) und wenigen Tagen. Bei konventionellen Antidepressiva sollte man mit zwei bis drei Wochen rechnen. Neben dem schnellen antidepressiven Effekt kann auch eine rasche Symptomreduktion der suizidalen Symptomatik erreicht werden. Der nicht immer langanhaltende Effekt der (Es)Ketaminbehandlung wird immer wieder kritisch diskutiert. Auch ein nicht auszuschliessendes Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial gehört zu den erwähnenswerten Risiken der Behandlung, die seitens des Arztes im Rahmen der Behandlung überwacht werden. Zusammenfassend ist eine (Es)Ketaminbehandlung eine sichere zusätzliche Behandlungsmethode mit einem überwiegend raschen klinischen Effekt und wenigen Risiken, die im Rahmen einer zeitlich begrenzten Behandlung gut kontrollierbar sind.