Non-Binarität und Geschlechtsidentitäten: Geschichte eines Patienten

Non-Binarität und Geschlechtsidentitäten: Geschichte eines Patienten

Identitätskrisen und der Umgang mit der eigenen Geschlechtsidentität sind für viele Menschen eine zentrale Herausforderung im Leben. Für Ash, einen 19-jährigen Trans-Maskulinen, ist das Thema Geschlecht ein fortwährender Prozess, der von Zweifeln, Veränderungen und tiefgreifender Selbstreflexion geprägt ist. In einem Gespräch erzählt er von seiner Reise durch die Welt der Geschlechtsidentitäten, den Erfahrungen, die er gemacht hat, und der Bedeutung von Akzeptanz und Unterstützung. Es ist ihm wichtig, dass dieser Text mit seinem richtigen Namen erscheint und er sein Gesicht zeigen darf.

Frühe Jahre und das erste Bewusstsein für die Identitätsfrage
Schon als Kind fühlte sich Ash nie richtig «normal» in dem Körper, den ihm seine Umwelt zuschrieb. Er erinnert sich, dass er schon früh eine Unstimmigkeit zwischen seiner Geschlechtsidentität und den Erwartungen der Gesellschaft wahrnahm, konnte jedoch lange nicht genau benennen, was mit ihm nicht stimmte. Im Schulalter musste er sich oft mit stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit auseinandersetzen, obwohl er sich in vielen Momenten schon maskulin verhielt – in seiner Kleidung, in seiner Art zu sprechen und in seinen Hobbys.

Mit 13 Jahren begann Ash, sich intensiv mit seiner Identität auseinanderzusetzen. Er versuchte verschiedene Namen und Identitäten, bevor er sich für «Ash» entschied – ein Name, der ihm von einer Freundin vorgeschlagen wurde und der sich für ihn genau richtig anfühlte. «Es war wie ein Puzzleteil, das plötzlich an seinen Platz fiel», erzählt Ash. Als er seiner Familie mit 14 Jahren von seinem Gefühl der Genderinkongruenz erzählte, war die Reaktion zunächst verhalten. Seine Eltern benötigten Zeit, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, doch sie unterstützten ihn stets. Sie sahen ihn nicht als «falsch» an, sondern als jemanden, der seinen eigenen Weg finden musste.

Der Weg zur medizinischen Unterstützung
Als Ash begann, sich intensiver mit seiner Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen, wünschte er sich einen Binder, um seine Brüste flacher erscheinen zu lassen. Doch das Tragen eines Binders war nicht ohne Risiken – Rückenschmerzen und Atemprobleme machten das Tragen unangenehm und schwierig. Brüste hat er deshalb seit gut einem Jahr keine mehr – er unterzog sich einer Mastektomie. «Die Brustamputation war eine Befreiung. Ich wusste, dass ich den richtigen Weg für mich eingeschlagen hatte», erzählt er. Auch der Beginn der Testosteronbehandlung war ein bedeutender Schritt, der für Ash eine wichtige Bestätigung seiner Identität darstellte und eine grosse Veränderung in seinem Leben war. «Die Wandlung zeigte sich schnell, besonders meine Stimme wurde in kurzer Zeit viel tiefer. Ich hatte das Gefühl, dass ich endlich zu dem Menschen werde, der ich immer sein wollte.» Doch dieser Prozess ist nicht ohne Herausforderungen. Neben den körperlichen Veränderungen, die schnell sichtbar werden, sind auch psychische Hürden und Zweifel zu überwinden.

Identitätskrisen und die psychischen Auswirkungen
Die Suche nach der eigenen Identität kann zu ernsthaften psychischen Belastungen führen. Ash beschreibt seine Lebensgeschichte als eine mit vielen Krisen, die oft suizidale Gedanken mit sich brachten. «Ich habe in Littenheid neben zweieinhalb Aufenthalten auf Psychotherapiestationen mehrere Kriseninterventionen durchlaufen, die mich vor Schlimmerem bewahrten», sagt er. Besonders in den Jahren vor seinem Übergang fühlte er sich verloren und unverstanden. «Es war die Hölle, jeden Tag im Körper aufzuwachen, der nicht zu mir passte – wie ein Albtraum, der nicht enden wollte.» Viele Gespräche zur Findung seiner Identität und die therapeutische Unterstützung in Littenheid halfen ihm, in seiner Entscheidung immer sicherer zu werden. Während zwei Jahren musste er zudem zur Gendersprechstunde und dort viele Tests bestehen. Angst davor, seine Entscheidung irgendwann zu bereuen, hat Ash nicht: «Ich bin froh, dass ich heute da stehe, wo ich bin. Traurig ist nur, dass es so lange gedauert hat, um zu diesem Punkt zu kommen. Hätte ich schon früher den Zugang zu Hormonen oder Unterstützung gehabt, wäre mir wohl Vieles erspart geblieben.»

Geschlecht und Gesellschaft – wie das Umfeld reagiert
«Es gibt Momente, in denen ich mich unsicher fühle, weil ich nicht der Norm entspreche», sagt Ash. Doch er ist auch zuversichtlich, dass sich die Gesellschaft langsam verändert und mehr Akzeptanz für unterschiedliche Identitäten aufbringt. Wichtig für ihn war und ist die Unterstützung seiner Freunde. «Keine meiner Freundinnen und keiner meiner Freunde hat sich von mir abgewendet. Im Gegenteil – viele von ihnen sind Teil der LGBTQ-Community. Wir hatten eine Verbindung, bevor wir überhaupt wussten, dass wir LGBTQ sind.»

Ashs Geschichte ist auch eine Geschichte von Akzeptanz und Aufklärung. Für ihn war es entscheidend, in einem Umfeld zu leben, das ihn akzeptiert und unterstützt hat. Doch er wünscht sich, dass es mehr Aufklärung gibt, gerade für jüngere Menschen, die sich noch nicht sicher sind, wie sie ihre Identität einordnen können. «Ich finde es wichtig, dass wir über Transgender-Themen sprechen, besonders in Schulen. Es muss keine riesige Geschichte daraus gemacht werden, aber es sollte ein Thema sein. Es sollte normal sein, dass Menschen über ihre Identität sprechen können, ohne Angst vor Ablehnung zu haben.»

Fazit
Ashs Weg war nicht immer einfach. Es gab viele Rückschläge, Zweifel und schmerzhafte Phasen. Doch er hat sich nicht entmutigen lassen. Seine Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich selbst zu finden und zu leben – frei von Vorurteilen und gesellschaftlichem Druck. Die Unterstützung der Familie, von Freunden und der Gesellschaft ist dabei von unschätzbarem Wert. «Ich bin froh, dass ich jetzt zu mir selbst stehen kann. Und ich hoffe, dass viele andere auch den Mut finden, sich selbst zu entdecken und zu akzeptieren.»

Teil 1: Einführung
Teil 2: Akzeptanz im Alltag
Teil 3: Begleitung

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