Psychotherapie im Alter: Geschichte einer Patientin

Psychotherapie im Alter: Geschichte einer Patientin

«Die Seele sagt zum Körper: Geh Du vor! Auf Dich hören sie!» - Die Geschichte von Anna Baumann gibt Mut und Hoffnung.

Das grösste Kompliment ans «Schlössli» kommt am Schluss des Gesprächs: «Ich würde gerne wieder einmal kommen», sagt Anna Baumann (Name geändert). Dabei hat die quirlige Endsechzigern zwei Anläufe gebraucht, um mit unserem alterspsychiatrischen Angebot warm zu werden: «Ich bin als Notfall in die Klinik gekommen und war die ersten Tage auf einer Akutstation. Danach kam ich auf eine Therapiestation, die überhaupt nicht für mich gepasst hat. Nach weniger als einer Woche bin ich selber frustriert ausgetreten.» Zum Glück liess sie es nicht dabei bewenden, sondern beschwerte sich, denn sie wollte ihre Schwierigkeiten in den Griff bekommen. Der zweite Eintritt, auf die Station D0, lohnte sich: «Da war alles perfekt für mich, das Team, die Therapie, sogar die anderen Patientinnen und Patienten, wir waren eine super Gruppe.»

Anna Baumann hat ein bewegtes Leben hinter sich. Sie, die viel und gerne gearbeitet hat und aus beruflichen Gründen oft von ihrem Ehemann getrennt war, fiel mit der Pensionierung in ein Loch. «Zuerst war ich auf Reisen, aber dann kam Corona, wir sassen zu zweit zuhause, mein Tag hatte keine Struktur, ich bekam keine Anerkennung von aussen, und ich habe zu viel gegrübelt.» Hinzu kamen unerträgliche Schmerzen in einem Bein, gegen die keine Therapie und kein Medikament halfen. «Ich glaube nicht an psychosomatische Beschwerden», erzählt sie, «aber rückblickend muss ich sagen: Da hat die Seele zum Körper gesagt, geh Du vor, denn auf Dich hören sie…».

Zur Psychiatrie hatte Anna Baumann kein gutes Verhältnis, «wie viele in meinem Alter», sagt sie, «antiquierte Vorstellungen von Zwang und Medikamenten, und vom Schlössli wusste ich auch nichts Gutes». Heute weiss sie: «alles falsch». Sie fühlte sich auf dem D0 sofort wohl, genoss auch das Einzelzimmer, in dem sie lange sein konnte, und machte mit Elan in der Gesprächstherapie mit. Nach einem ersten Medikament, das sie überhaupt nicht vertrug, wurde ihr ein anderes verschrieben, und «was soll ich sagen, ich hätte das selbst nicht geglaubt, nach wenigen Tagen waren die Schmerzen in meinem Bein weg und sind bis heute nicht wiedergekommen». Sie betont aber: «Man muss einen grossen Beitrag selber leisten, wenn ein solcher Aufenthalt gelingen soll. Man muss bereit sein, sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen. Für mich wurden zwei Schwerpunkte definiert, nämlich einerseits die Vergangenheitsbewältigung, also auf schwere Dinge im Leben zurückzublicken und sie zu verarbeiten, damit man sie nicht bis zum Ende mit sich herumschleppen muss, sondern eine Akzeptanz oder ein Verzeihen entwickeln kann. Dies habe ich mit dem CBASP-Programm sehr gut erreicht. Und andererseits Strategien zu entwickeln, um Konflikten zu begegnen und sie lösen zu können. Ich sollte lernen, anders zu reagieren und eigene Muster zu durchbrechen, und das beinhaltet auch, die daraus resultierenden Konsequenzen entspannt zu tragen.» Trotz anfänglicher Skepsis fand Anna Baumann auch an der Ergotherapie Gefallen. Sie widmete sich einer schwierigen Tonskulptur und gab nicht auf trotz vieler Misserfolge. Den Aufenthalt kann sie nur empfehlen: «Das lohnt sich in jedem Alter, denn man kann immer wertvolle Lebenszeit gewinnen.» Und angesprochen auf die Skepsis, die viele ältere Personen gegenüber der Psychiatrie haben, sagt sie: «Es ist in Ordnung, sich Hilfe zu holen. Obwohl uns das noch eher eingetrichtert wurde als den jüngeren Generationen: Man muss nicht alles alleine schaffen. Das kann man gar nicht. Da braucht man Fachpersonen, die einen unterstützen, genau wie bei körperlichen Beschwerden.»

Anna Baumanns Umfeld und ihr Ehemann reagierten mit viel Verständnis und Unterstützung. Heute, ein halbes Jahr nach dem Klinikaustritt, ist sie voller Tatendrang. Seit ein paar Wochen ist sie stolze Hundebesitzerin («das strukturiert den Tag»), und für die kommenden Jahre hat sie noch viele Pläne.

Teil 1: Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung

Teil 2: Die häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter und ihre Behandlung

Teil 3: Besonderheiten der Psychotherapie im Alter

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