Psychotherapie im Alter: Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung

Psychotherapie im Alter: Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung

Im ersten Teil zum Thema Psychotherapie im Alter werden die Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung bei älteren Menschen behandelt.

In der letzten Veröffentlichung zum psychischen Gesundheitszustand der Schweizer Bevölkerung (OBSAN, 2020) zeigte sich, dass knapp 16% der Frauen und knapp 8% der Männer über 65 Jahren unter einer mittleren bis starken psychischen Belastung litten, trotz des gleichzeitig deutlich gestiegenen Anteils an gesunder Lebenszeit, d.h. Lebenszeit ohne funktionelle Beeinträchtigung, und trotz bisher weiter steigender durchschnittlicher Lebenserwartung. Diese Belastungen können auch mit behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen verbunden sein.

Aus der neurowissenschaftlichen Forschung ist bekannt, dass die neuronale Plastizität grundsätzlich erhalten bleibt und damit Lernen bis ins hohe Lebensalter möglich ist. Aus diesem Grund ist eine Psychotherapie auch bis ins hohe Lebensalter möglich. Entgegen der in der Vergangenheit, auch von Pionieren der Psychotherapie, vertretenen Lehrmeinung, Psychotherapie im Alter sei nicht möglich, ist diese nicht nur bis ins mittlere Alter hilfreich, sondern auch für ältere Menschen indiziert. Diese können von einer Therapie profitieren, und sie wird auch ans Lebensalter angepasst empfohlen.

Wenn psychische Belastungen auftreten, die weder durch eigene Anstrengung noch durch Hilfe des Umfeldes gemeistert werden können, so ist eine Psychotherapie indiziert. Dabei werden körperliche Probleme, die Biographie des Patienten und individuelle Präferenzen berücksichtigt. Es gibt eine Reihe an Problemen und Ereignissen im Alter, die Leiden auslösen können. Eine besondere Schwierigkeit stellt die Unterscheidung zwischen psychischen Symptomen und körperlichen Symptomen oder normalen Alterserscheinungen dar. Anzeichen wie sozialer Rückzug, Antriebsminderung und Vergesslichkeit werden häufig dem Älterwerden zugeschrieben. Eine besondere Herausforderung liegt darin, dass ältere Menschen häufig an mehr als einer Erkrankung leiden. So gilt es, gleichzeitig mehrere Leiden zu behandeln. Deshalb gestaltet sich die Behandlung oftmals langwieriger als bei jüngeren Menschen. Zudem ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten nötig, um die Behandlung der körperlichen Symptome sicherzustellen.

Die häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter sind demenzielle Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Psychosen und Abhängigkeitserkrankungen. Zudem treten Depressionen und Angststörungen bei älteren Menschen besonders häufig gemeinsam auf. Demenz-Erkrankungen stellen die Hauptursache für Pflegebedürftigkeit im Alter dar.

Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung
Das Alter geht mit einer Anzahl von Belastungsfaktoren einher, die eine psychische Erkrankung begünstigen können. Einerseits treten vermehrt körperliche Symptome und Einschränkungen auf, was das Wohlbefinden stark beeinträchtigen kann. Zudem erleben ältere Menschen zunehmend den Verlust von nahestehenden Personen. Ältere Menschen müssen eine enorme Anpassungsleistung an neue Lebensumstände erbringen. Dies gelingt nicht immer. Sie fürchten sich davor, von anderen abhängig zu sein, hilflos zu werden und dem Lebensende alleine entgegen zu sehen. Zudem können sich nicht verarbeitete Erlebnisse aus der Vergangenheit in den Vordergrund drängen. Der Entwicklung einer psychischen Erkrankung liegen sowohl körperliche als auch emotionale und soziale Belastungen zugrunde.

Im Alter nehmen die Beweglichkeit, die Sehkraft sowie die Hörleistung ab. Dies hat vielfältige Auswirkungen auf den Alltag. Einerseits sind ältere Menschen mit diesen zunehmenden Defiziten täglich konfrontiert. Andererseits schränken diese Einbussen den sozialen Kontakt ein. Es ist für ältere Menschen schwieriger, sich an neue Situationen anzupassen, was eine zusätzliche Belastung darstellt.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Hirnleistung ab. Dies zeigt sich vor allem dort, wo kontrollierte Aufmerksamkeit bei unstrukturierten Aufgaben mit ablenkenden Reizen gefragt ist, oder bei der gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer Aufgaben. Zudem lässt die Leistung des Arbeitsgedächtnisses nach.

Körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Lungenerkrankungen und Krebserkrankungen treten im Alter vermehrt auf. Ältere Menschen leiden häufig unter mehreren körperlichen Erkrankungen, die Schmerzen und Ängste auslösen. Zusätzlich schwierig ist die Verabreichung von Medikamenten, da sich der Stoffwechsel im Alter verändert. So sind Medikamente einerseits wichtig zur Behandlung der körperlichen Erkrankungen, müssen andererseits aber mit Vorsicht angewendet werden.

Verlusterfahrungen sind im Alter besonders präsent. Ältere Menschen erleben den Verlust ihrer sozialen Rollen. Dazu gehört zum Beispiel die Rolle im Beruf. Mit dem Austreten aus dem Berufsleben fallen auch soziale Kontakte zu Arbeitskollegen und die geistige Herausforderung einer Arbeitstätigkeit weg. Mit der Rente muss das Selbstbild neu konstruiert werden. Weitere Verlusterfahrungen treten im persönlichen Umfeld auf. Mit zunehmendem Alter versterben Partner und Freunde. Zudem erschweren körperliche Einschränkungen den sozialen Kontakt. Viele ältere Menschen sind einsam und haben dem Verlust nahestehender Personen zu kämpfen.

Die aufgezählten Risikofaktoren begünstigen das Auftreten einer psychischen Erkrankung. Eine Psychotherapie hilft bei der Verarbeitung dieser Erlebnisse und unterstützt ältere Menschen dabei, die aktuelle Situation zu akzeptieren, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, kompensatorische Strategien zu entdecken, ihre Situation neu zu bewerten und eine sinnstiftende Haltung und Einstellung zur veränderten Lebenssituation zu finden.

Teil 2: Die häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter und ihre Behandlung

Teil 3: Besonderheiten der Psychotherapie im Alter

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