Safewards: Erfahrungsbericht

Safewards: Erfahrungsbericht

Teil 1: Das Safewards-Modell

Teil 2: Interventionen Teil 1

Teil 3: Interventionen Teil 2

Safewards und psychiatrische Intensivbetreuung: Geschichte einer Peer-Mitarbeiterin

«Mein erster Kontakt mit Safewards war als Patientin. Ich war per Fürsorglicher Unterbringung (FU) in eine Klinik eingewiesen worden. Das war nicht das erste Mal. Ich habe selbst einige, auch traumatische FUs erlebt. Das lässt einen Menschen nicht unberührt. In der Regel wurde das in den Kliniken nicht nachbesprochen. Es war dann halt so, wie es war, und man musste allein damit klarkommen. In jener Klinik hat man sich aber am Folgetag mit mir zusammengesetzt und besprochen, was passiert war. Mich hat das irritiert, und ich habe nachgefragt, warum das gemacht wird. Das Behandlungsteam hat mir erklärt, wie wichtig es ist, Zwangssituationen nachzubesprechen, damit die Patientin die Situation verstehen und auch die eigene Sicht beschreiben kann. Ich habe das als sehr positiv erlebt. In diesem Moment habe ich mich gesehen gefühlt, durfte sagen, dass ich die Situation anders wahrgenommen hatte, und mir wurde geglaubt. Man ging nicht einfach vom Polizeirapport als der einzigen gültigen Realität aus.

So habe ich Safewards kennen gelernt. 

In derselben Klinik stand ich kurz darauf vor einer Wand mit Steckbriefen des Behandlungsteams. Ich durfte die Steckbriefe lesen und schauen, ob ich mit jemandem Gemeinsamkeiten finde: etwa das Lieblingsessen, frühere Berufe oder den liebsten Ferienort. So etwas ermöglicht einen anderen Zugang. Man hat schneller ein Gesprächsthema, zum Beispiel über Hobbys, und es hilft, die Situation zu normalisieren. Wenn ein Mensch das erste Mal in die Psychiatrie kommt, ist das ja eine Extremsituation. Psychiatrie ist immer noch stigmatisiert. Man hat nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie es da aussehen wird und was mit einem passieren wird. Die Situation wird viel erträglicher und man selbst zugänglicher, wenn man von Anfang an spürt, dass auf der anderen Seite auch nur Menschen sind, die ein Leben ausserhalb ihrer Rollen in den Kliniken führen. Es entsteht eine Verbundenheit, und das Machtgefälle sinkt. Als betroffene Person hatte ich oft das Gefühl, dass das Behandlungsteam über mir stand. Diese kleine Geste der Steckbriefe half mir, dies in einem anderen Licht zu sehen.  Als ich am selben Tag noch die Wand mit den ermutigenden und stärkenden  Entlassungsnachrichten fand, bekam ich ein Gefühl von Sicherheit.

Wenn ich jetzt in meiner Funktion als Peer auf eine Station komme, sehe ich, dass auf jenen Stationen, die mit Safewards arbeiten, der Gemeinschaftsgedanke grösser ist. Auf den Safewards-Stationen im «Schlössli» ist zum Beispiel immer jemand greifbar im Aufenthaltsraum, man bringt Betroffene zusammen, so dass sie miteinander neue Erfahrungen machen können und der Zusammenhalt gestärkt wird. Das wird aktiv gefördert, zum Beispiel auf einer Zimmerrunde oder indem man Listen aufhängt, wo Vorschläge für gemeinsame Aktivitäten gemacht werden können. Dann fangen vielleicht zwei an, und dann kommen andere dazu und schliessen sich an. Mich überrascht immer wieder, wer sich da motivieren lässt und zum Beispiel für eine Runde Fussball Energie findet, auch wenn er oder sie sonst keine hat. Was mir am meisten auffällt, ist die Sprache. Auf den Safewards-Stationen unterstütz man sich gegenseitig dabei, eine wertschätzende, verständnisvolle und positive Kommunikation in Bezug auf die Betroffenen und deren schwierige Situationen zu führen. Rapporte nehme ich so als unterstützender und hilfreicher war. Der Dienststart wird angenehmer, es wird unvoreingenommen auf Betroffene zugegangen.

Für das Behandlungsteam bedeutet die Einführung von Safewards natürlich erst einmal viel Arbeit. Im Endeffekt führt es aber dazu, dass weniger Brände gelöscht werden müssen, weil man bestimmte Stimmungen, Sorgen und Bedenken früher sieht und dann schon intervenieren kann. Da helfen auch die belanglosen Gespräche, auch mal an der Kaffeemaschine und nicht nur im Besprechungszimmer.

Die Mitglieder jedes Team dürfen bei diesem Prozess auch die eigene Rolle überdenken, das braucht Kraft und Mut. Aber wenn man sich darauf einlässt, ist der Alltag bereichernder, und das System bietet Entlastung an.

Ich glaube fest, dass Safewards dazu einlädt, die eigenen Ängste, Begrenzungen und Denkmuster zu reflektieren, daran zu wachsen und ein gemeinsames Bewusstsein für das Menschsein zu schaffen.»

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