Schulverweigerung: Geschichte einer Patientin

Schulverweigerung: Geschichte einer Patientin

Die 13-jährige Julia* kämpft mit ihrer Depression und auch ihre frühen Schulerfahrungen prägen ihr Leben. Ihr Weg zur Heilung, der sie kürzlich in eine stationäre Behandlung führte, ist von Höhen und Tiefen begleitet.

Julias Geschichte beginnt in der Primarschule, wo sie in der zweiten Klasse erstmals Mobbing erlebte. Damals konnte sie noch nicht benennen, was es war, doch das Gefühl, gehänselt zu werden, blieb ihr in Erinnerung. In der sechsten Klasse, nach einem Umzug, erlebte sie erneut Mobbing, als sie mitten im Semester in eine neue Klasse kam. Ein Junge nannte sie wegen ihrer kurzen Haare «Emo» und stachelte die Mitschüler gegen sie auf. Julia begann immer häufiger der Schule fernzubleiben. Nach Gesprächen mit der Schulleitung schien sich die Situation zu bessern – zumindest für eine Weile.

Der Übergang in die Oberstufe sollte eine neue Chance bieten, doch als ihr Hund schwer erkrankte, wurde Julia erneut zum Ziel. Ihre Traurigkeit über den bevorstehenden Verlust des geliebten Haustiers machte sie schwach – und damit zum einfachen Mobbing-Opfer. Julia lud, versehentlich, wie sie sagt, ein Video auf TikTok hoch, in dem sie zum Ausdruck brachte, wie sie sich fühlte. Oder war es ein verzweifelter Versuch, ihre innere Qual nach aussen zu tragen? Nicht nur ihre Klasse, sondern fast die ganze Schule machte sich über Julia lustig, stellte sie bloss und grenzte sie aus. Immer öfter reagierte Julia mit Panikattacken: Es wurde ihr übel, sie konnte kaum noch atmen und sie versteckte sich - auf dem WC, unter der Brücke auf ihrem Schulweg oder zu Hause in ihrem Zimmer. Von der Lehrerin erhielt Julia keine Unterstützung, sie glaubte ihr nicht. Ihre Eltern konnten die Situation, in der sich Julia befand, nicht länger ertragen und handelten entschlossen. Sie stellten sich vor Julias Klasse und erklärten deutlich, dass ein solches Verhalten ihr Tochter gegenüber inakzeptabel sei. Doch die Situation eskalierte, und Julia zog sich weiter zurück. Schliesslich blieb sie monatelang zu Hause, lag im Bett und schaute sich Filme an. Wenn sie das Haus verliess, dann nur, um zu ihrer ambulanten Therapie zu gehen.

Der schulpsychologische Dienst forderte einen stationären Aufenthalt, und so kam Julia vor wenigen Wochen in die Clienia Littenheid. Der Anfang war schwer, aber der Aufenthalt erwies sich als entscheidend. Ihre unterdrückten Gefühle und Schwierigkeiten im Umgang mit Beziehungen stehen nun im Mittelpunkt ihrer Therapie. Obwohl Julia zu Beginn mit vielen Ängsten und Zweifeln zu kämpfen hatte, spürt sie inzwischen deutliche Fortschritte. So gelang es ihr zum Beispiel, gute und vertrauensvolle Kontakte zu anderen Patientinnen und Patienten zu knüpfen.

Heute ist Julia optimistisch für die Zukunft. Sie hat den ersten, entscheidenden Schritt gemacht und Hilfe angenommen. Der stationäre Aufenthalt in der Klinik war nicht nur eine Massnahme, um mit ihrer Depression besser umzugehen, sondern auch ein wichtiger Wendepunkt auf dem Weg zu sich selbst. «Ich habe erkannt, dass sich gute und weniger gute Zeiten im Leben abwechseln: wie Wellen – mal stärker, mal schwächer», sagt sie. Trotz der Narben, die das Mobbing hinterlassen hat, hat sie viel über menschliches Verhalten gelernt. Nach den Sommerferien wird sie eine psychiatrische Tagesklinik besuchen und sich gleichzeitig um eine Anschlusslösung für die Schule kümmern. Julia weiss, dass der Weg noch lang ist, doch sie weiss auch, dass eine Veränderung immer möglich ist.

*Name geändert

Teil 1: Symptome
Teil 2: Ursachen und Entstehungsfaktoren
Teil 3: Behandlung

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