Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen: die Geschichte eines Patienten

Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen: die Geschichte eines Patienten

„Ich war noch fast ein Kind, als ich mit Marihuana angefangen habe. Bald war ich auf fünf bis zehn Gramm täglich. Der Joint war am Morgen das erste. Zu meinem 18. Geburtstag habe ich erstmals Kokain konsumiert. In den folgenden zwei Jahren war für mich eigentlich alles OK, ich habe nicht mehr gekifft und nur am Wochenende gekokst. Um die 20 herum habe ich dann plötzlich jeden Tag Kokain konsumiert. Dafür gab es keinen Auslöser. Ich hatte einfach Lust. Ich habe weiter im Baugewerbe gearbeitet und jeden Feierabend Kokain und Bier konsumiert bis vier Uhr morgens. Meine Familie hielt das für ein Alkoholproblem, und ich habe sie in dem Glauben gelassen. Während dieser Zeit hatte ich auch eine Beziehung. Sie hat sehr lange gehalten. Letzten Sommer wurde mir aber alles zuviel. Ich hatte Schulden, haufenweise unbezahlte Rechnungen, war nie zuhause, mochte nicht mehr zur Arbeit gehen. Ich wurde paranoid, suchte Ratten in meinem Kleiderschrank. Da habe ich gewusst, dass ich sterbe, wenn ich mir keine Hilfe hole. Wer so viel Kokain und Bier konsumiert, kann tatsächlich jederzeit sterben. Der erste Entzug, letzten Herbst, war hart. Wenigstens habe ich keine heftigen körperlichen Reaktionen gehabt. Danach sind wir in die Ferien gefahren, und nach den Ferien war meine langjährige Beziehung beendet. Es hatte nichts mehr gestimmt, wohl schon seit Jahren nicht. Das hat dann den ersten Rückfall ausgelöst; es kam ein zweiter, dann ein dritter. Ich habe mich damit abgefunden und mir eingebildet, ich könnte kontrolliert konsumieren, nur am Wochenende. Bis zu den Weihnachtsferien hat das geklappt. In den Ferien habe ich plötzlich wieder jeden Tag Kokain konsumiert. Alles ging wieder los, unbezahlte Rechnungen, Nichterscheinen am Arbeitsplatz… Meine Eltern haben es sofort bemerkt und mir deutlich gesagt, dass ich Hilfe brauche, aber ich wollte es nicht hören. Erst Ende März dieses Jahres war ich bereit dazu.
Vom Schlössli hatte ich immer nur Gutes gehört. Es hat mir hier auch sofort gefallen. Jetzt bin ich seit drei Wochen hier und bin sehr dankbar. Der fixe Tagesablauf und die Therapien helfen mir enorm. Ich finde auch das Essen hervorragend, und ich liebe das Atelier, wo ich Dinge herstellen kann. Etwas mit nachhause zu nehmen, was ich mit meinen eigenen Händen gemacht habe, ist mir sehr wichtig. Es soll mich daran erinnern, dass ich hier war. Zurzeit entwickle ich Strategien, um nicht mehr rückfällig zu werden. Sollte ich Lust auf Kokain bekommen, muss ich mir all die Nachteile vor Augen führen: das Leid meiner Familie, den Geldmangel. Ich weiss, dass ich  ein gutes Leben, ein eigenes Auto, eine Wohnung, Freunde haben kann, auch genug Geld, dass ich auch eine Frau kennen lernen kann, wenn ich es selber schaffe, clean zu bleiben. Ich weiss aber, dass ich Abstand brauche. Kontrollierter Konsum ist nicht möglich. Es braucht ein lebenslanges Nein. Das Härteste wird sein, mich von meinen Freunden fernzuhalten. Sie sind alle abhängig. Ich muss neue Kollegen finden. Meiner Familie bin ich sehr dankbar für den Halt, den sie mir gibt. Sie sind sehr stolz auf mich. Das soll so bleiben. Ins Schlössli zu kommen, würde ich jedem empfehlen. Mir hat es das Leben gerettet. Ich werde an den Aufenthalt hier eine Langzeittherapie an einem anderen Ort anhängen und dann wieder in meinem Alltag Fuss fassen. Künftig ohne Drogen. Über all das Geschehene zu sprechen, das mache ich gerne. Wenn das schon nur einem einzigen anderen Süchtigen hilft, hat es sich gelohnt.“
R.W. (Name geändert) ist Patient der Station W2 Behandlungsschwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen der Clienia Schlössli AG.

Teil 1: Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen: Symptome und Diagnose

Teil 2: Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen: Herkunft und Ursache

Teil 3: Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen: Therapie und Behandlungsmöglichkeiten

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