Tic- und Tourette-Störungen: Symptome und Diagnosen

Tic- und Tourette-Störungen: Symptome und Diagnosen

Im ersten von vier Teilen berichtet Clienia über Diagnosen von Tic- und Tourette-Störungen.

Umgangssprache
Der Begriff des Tourette-Syndroms hat sich in den letzten Jahren umgangssprachlich etabliert und wird vor allem mit Personen assoziiert, die in unpassenden Situationen exzessiv vulgäre Ausdrücke benutzen. Dies bildet jedoch das klinische Bild des Tourette-Syndroms nur teilweise ab. Ähnlich verhält es sich mit der umgangssprachlichen Verwendung des Tic-Begriffes. Wenn jemand "einen Tick hat" oder “eine Macke hat”, wird dies meistens mit einer ungewöhnlichen, manchmal lästigen Eigenschaft in Verbindung gebracht, ohne weiter darauf einzugehen. Nachfolgend sollen die beiden Begriffe klinisch erklärt und ihr Zusammenhang beschrieben werden.

Definition
Aus klinischer Sicht wird ein Tic als eine plötzliche, sich wiederholende, unbeabsichtigte und in der Regel nicht-rhythmische Bewegung von Muskelgruppen oder anhand derselben Kriterien für die Produktion von Lauten beschrieben. Die Tics können sich in ihrer Komplexität unterscheiden. So stellt zum Beispiel ein Blinzeln eine weniger komplexe Bewegung dar als ein Klatschen oder eine gezielte Berührung. Eine weitere Dimension erhalten die Tics durch die verschiedenen Sinnesmodalitäten, in denen sie sich zeigen können. Am offensichtlichsten sind dabei die motorischen (z.B. Kopfnicken) und die vokalen Tics (Lautäusserungen). Ein eher einfacher vokaler Tic kann zum Beispiel ein Räuspern sein, ein komplexer womöglich ein (obszönes) Wort oder Fluchen.

Unterschied Zwang
Für die thematische Einordnung von Tics ist die Abgrenzung zum Zwang wichtig. Gemeinsam ist beiden Konstrukten, dass sie unter emotionaler Erregung vermehrt auftreten und sich durch eine grosse Konzentrationsleistung zumindest kurzzeitig verringern lassen. Zwänge gleichen jedoch eher zielgerichteten Ritualen, während Tics eher ruckartig und als abgehackte Bewegungen auftreten. Tics sind nicht von Angst geleitet, werden als sensomotorisches Dranggefühl erlebt und als zur eigenen Person zugehörig. Zwänge sind eher konkrete, angstgeleitete Gedanken oder Handlungen und werden als sich aufdrängend sowie als nicht zur eigenen Person gehörend erlebt. Tics treten oft bereits in der frühen Kindheit auf, Zwänge eher später.

Neben der inhaltlichen Beschreibung werden die Tic-Störungen gemäss der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen  (ICD-10) auch in verschiedene Diagnosen eingeteilt.

Diagnosen
Die einzelnen Diagnosen kommen nicht nur aufgrund inhaltlicher Unterschiede zustande, sondern berücksichtigen auch die Dauer und den Zeitpunkt des ersten Auftretens eines Tics. Insgesamt ist dabei wichtig, dass keine anderen Ursachen (z.B. eine Krankheit, Drogen- oder Medikamentenkonsum) vorhanden sind. Folgende Diagnosen werden im ICD-10 unterschieden:

Vorläufige / vorübergehende Tic-Störung (F95.0): Es treten entweder einzelne motorische oder vokale Tics auf. Die Tics halten nicht länger als zwölf Monate an.

Chronisch motorische oder vokale Tic-Störung (F95.1): Für diese Diagnose gelten die allgemeinen Kriterien für eine Tic-Störung. Dabei können motorische und vokale Tics auftreten, jedoch nicht gleichzeitig. Die Tics halten länger als zwölf Monate an.

Tourette-Syndrom (F95.2): Beim Tourette-Syndrom treten sowohl verschiedene motorische als auch verschiedene vokale Tics auf. Diese können gleichzeitig vorkommen, was für die Diagnose jedoch nicht zwingend ist. In der Regel verstärkt sich die Symptomatik im Laufe des Jugendalters und dauert oft im Erwachsenenalter fort. Die Tics treten mindestens zwölf Monate täglich auf.

Prävalenz
Man geht davon aus, dass etwa drei Prozent der Bevölkerung die Kriterien für eine chronische Tic-Störung erfüllen. Beim Tourette-Syndrom ist es knapp ein Prozent. Eine vorübergehende Tic-Störung kommt bei etwa vier bis zwölf Prozent der Kinder vor. Grundsätzlich kommen diese Diagnosen bei Männern etwa dreimal häufiger vor als bei Frauen.

Komorbidität
Auch bei Tic-Störungen können verschiedene andere Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) auftreten. Die häufigste Begleitstörung ist ein Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Aber auch Zwangssymptome oder affektive Störungen (Depression) kommen durchaus gemeinsam mit Tic-Störungen vor.

Konsequenz
Betroffene Personen leiden insbesondere an den sozialen Folgen ihrer Krankheit. Negative Reaktionen des privaten, öffentlichen und möglicherweise auch des beruflichen Umfeldes führen sehr oft zu sozialem Rückzug, einem niedrigen Selbstwertgefühl und Problemen im Familien- und Berufsleben.

Im nächsten Teil dieses Blogs werden mögliche Ursachen für Tic-Störungen diskutiert.

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