Trauer nach einem Verlust: die Geschichte eines Patienten

Trauer nach einem Verlust: die Geschichte eines Patienten

Unser Patient M. F. über einen grossen Verlust und wie er lernt, damit umzugehen.

Vor zweieinhalb Jahren ist meine Frau an Krebs gestorben. Wie soll ich das beschreiben? Ich bin in einen luftleeren Raum gestürzt. Wie ein Astronaut. Es hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich habe zwar weiterhin gearbeitet, mich um die Tiere und das Haus gekümmert, das hat schon funktioniert. Aber ich habe jede Struktur verloren. Das Problem ist ja rasch erklärt: Ich bin alleine. Ich kann zwar den Haushalt führen, kann kochen und sogar nähen, bin im Alltag nicht aufgeschmissen. Aber ich bin alleine. Das ist kaum zu ertragen. Manchmal würde ich lieber in einem Hotel schlafen, als in mein leeres Haus zurückzukehren.

Wir waren über 30 Jahre lang ein Paar. Das Haus haben wir gemeinsam gekauft und uns darum gekümmert. Jeden Samstag am späteren Nachmittag, wenn ich im Garten gearbeitet habe, hat meine Frau mich zum Apero gerufen. Ich höre sie heute noch rufen. Ich war beruflich selbständig, habe politische Ämter bekleidet und war ein geselliger Typ. Jemand, der sich im Restaurant eher zu Fremden an den Tisch setzt und ein Gespräch beginnt, als einen freien Tisch zu suchen. Das alles passt jetzt nicht mehr. Ich habe mich zurückgezogen, auch von vielen Menschen, die ich früher als Freunde betrachtet habe. Wie oft habe ich gehört «Ihr wusstet ja wenigstens, dass es bald soweit sein würde», aber ich denke, darauf kann man sich nicht vorbereiten. Auch all die anderen gut gemeinten Ratschläge, ich solle «nach vorne schauen», «unter Leute gehen», mir gar eine neue Partnerin suchen – ich mag das alles nicht hören. Die Leere in meinem Inneren kommt ja nicht davon, dass ich keine Aufgabe hätte. Eine bessere Hilfe sind Gespräche mit Menschen, die ähnliches erlebt haben. Sie können verstehen, was einem widerfahren ist, und man kann sich gegenseitig tatsächlich etwas Mut machen.

Unser Sohn wohnt nicht weit von mir entfernt. Wir haben viel Kontakt. Aber jeder trauert auf seine Weise. Wir sprechen nicht mit einander über das, was der Verlust für uns bedeutet.

Mein Rat? Man muss sich sofort Hilfe holen. Das schafft man nicht alleine. Ich habe mehr als ein halbes Jahr gewartet, bis ich mich ans Clienia Psychiatriezentrum Wetzikon habe überweisen lassen. Die Therapie hat mir geholfen, meinem Leben eine Struktur zu geben, mich nicht komplett aufzugeben. Die Gespräche sind anders mit jemand Fremdem, der ausserhalb steht und alles vertraulich behandelt. Mein Therapeut gibt mir konkrete Aufgaben: Zum Beispiel am Samstagnachmittag einen Wecker zu stellen, um vor der vertrauten Apero-Zeit das Haus verlassen und einen Spaziergang machen zu können. Für mich ist das Ziel der Therapie, die Einsamkeit besser zu ertragen. Natürlich wäre es schön, wenn ich mich wieder öffnen und auf Menschen zugehen könnte. Das wünsche ich mir auch. Aber so weit voraus kann ich nicht denken.»

M.F. (Name geändert) ist Patient am Clienia Psychiatriezentrum Wetzikon.

Teil 1: Trauer nach einem Verlust: Auswirkungen
Teil 2: Trauer nach einem Verlust: Trauerphasen
Teil 3: Trauer nach einem Verlust: Umgang mit Trauer

Weitere Beiträge

Safewards: Interventionen des Safewards-Modells Teil 1
10.12.24
Clienia-Gruppe
Safewards: Das Safewards-Modell
2.12.24
Clienia-Gruppe
Achtsamkeit: Erfahrungen einer Patientin
26.11.24
Clienia-Gruppe
Achtsamkeit: Wechselwirkung mit psychischen Störungen
19.11.24
Clienia-Gruppe
Achtsamkeit: Herkunft und Anwendung
12.11.24
Clienia-Gruppe
Achtsamkeit: Positive Effekte
5.11.24
Clienia-Gruppe