Was leistet die Psychotherapie? - Fortsetzung Jahresbericht-Interview

Was leistet die Psychotherapie? - Fortsetzung Jahresbericht-Interview

Hier findet sich die Fortsetzung des Gesprächs aus dem Clienia-Jahresbericht 2018.

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...Fortsetzung
Wenn ich mich aber nicht darauf verlassen kann, einfach die «richtige Methode» zu wählen: Was ist dann entscheidend für meinen Behandlungserfolg?

Daniel Zehnder: Salopp gesagt: der «richtige Therapeut».

Elisabeth Möller: Ja. Die therapeutische Arbeitsbeziehung ist entscheidend. Wo diese nicht zustande kommt, muss ich mir über die Methode gar nicht erst Gedanken machen.

Jana Campbell: Studien haben gezeigt, dass sich Psychotherapeuten in ihrer Wirksamkeit unterscheiden, und zwar unabhängig davon, welche Methode sie anwenden. Entscheidend ist die Fähigkeit, eine vertrauensvolle und tragfähige Arbeitsallianz mit dem Patienten aufzubauen. Es ist wichtig, dass ein Patient sich überhaupt traut, sich die Frage zu stellen, ob er sich mit seinem Therapeuten wohl fühlt. Dazu muss auch gesagt werden, dass wirksame Therapeuten zu Beginn einer Behandlung durchaus auch unbeliebt erscheinen können.

Elisabeth Möller: Ja, klar. Denn wirksam bin ich nur, wenn ich eine Person aus ihrer Komfortzone heraushole. Und das stösst zu Beginn schon mal auf Widerstand.

Wie wird man zu einem «guten» Psychotherapeuten?

Daniel Zehnder: Die Aus- und Weiterbildung spielt eine grosse Rolle. Nebst einem umfangreichen Fachwissen sind Selbsterfahrung und Supervision wichtige Ausbildungspfeiler. Therapeuten müssen sich selbst sehr gut kennen und fähig sein, authentisch zu sein.

Jana Campbell: Alter, Berufserfahrung und Geschlecht haben sich laut einigen Studien als irrelevant für den Therapieerfolg erwiesen. Wirksame Therapeuten sind bereit, sich im Therapieprozess zu reflektieren und sich persönlich weiter zu entwickeln. Sie haben ein feines Gespür dafür, wann der richtige Zeitpunkt da ist, einen Patienten mit Tatsachen zu konfrontieren, die er nicht hören möchte. Eine zu frühe Konfrontation kann dazu führen, dass die Beziehung abbricht.

Kann die Wirksamkeit von Psychotherapie wissenschaftlich überprüft werden?

Jana Campbell: Ja. Man fasst viele einzelne Wirksamkeitsstudien zusammen und analysiert diese statistisch. Über alle Methoden hinweg hat sich gezeigt, dass Psychotherapie in 65 bis 70
Prozent der Fälle hilft.

Elisabeth Möller: Einen Erfolg beweist die geringere Symptomlast, zum Beispiel weniger Traurigkeit, weniger Selbstverletzung. Messbar ist zudem die Steigerung der Lebensqualität, zum Beispiel mehr soziale Kontakte, bessere Integration ins Arbeitsumfeld. Das kann man mittels Fragebögen evaluieren.

Daniel Zehnder: Zu Beginn der Therapie reden wir über Zielsetzungen. Es reicht nicht, wenn mir jemand sagt: «Ich will, dass es mir besser geht.» Ziele sollten genauer und möglichst messbar formuliert werden, damit sie am Ende der Therapie überprüft werden können. Zum Beispiel: «Ich möchte mich drei Mal pro Woche bewegen, eine alte Freundin kontaktieren oder zwei Mal pro Tag ein bestimmtes Entspannungsverfahren anwenden.»

Jana Campbell: Erfolgreich ist die Therapie, wenn der Leidensdruck merklich reduziert oder gar behoben wurde, das Selbsthilfepotenzial erhöht wurde und die Grundstimmung positiver ist. Wissenschaftlich misst man das mit sogenannten Follow-ups: Patienten füllen einen Fragebogen aus am Ende der Therapie, dann nach drei und sechs Monaten wieder, bei Langzeitstudien über Jahre hinweg.

Und wie finde ich «meinen» Therapeuten? Anders gefragt: Woran merke ich, wenn mir jemand zwar nicht schadet, aber eben auch nicht nützt?

Daniel Zehnder: Unsere Patienten sind meist hoch motiviert, etwas zu verändern. Wenn jedoch über längere Zeit kein Veränderungsprozess eintritt, würde ich den betroffenen Patienten raten, dies in der Therapie anzusprechen und beispielsweise ein Standortgespräch zu verlangen.

Jana Campbell: Oft hilft es bereits, sich verstanden zu fühlen. In einer Psychotherapie muss aber natürlich mehr passieren. Patienten sind in ihrem Leidensdruck oft derart gefangen, dass sie von Sitzung zu Sitzung leben und es ihnen kaum möglich ist, ein Gesamturteil über den generellen Fortschritt ihrer Behandlung zu fällen. Das sehe ich als unsere Aufgabe. Ich evaluiere mit ihnen fortlaufend unseren Fortschritt: Wo stehen wir, was hat sich verändert, was steht noch an?

Elisabeth Möller: Als Supervisorin habe ich einmal von einer Station gesagt bekommen, die Patienten seien alle sehr zufrieden, sie wollten alle wiederkommen. Da habe ich gesagt: «Ihr macht etwas falsch.» Das Ziel ist nicht Drehtürpsychiatrie. Die Wirksamkeit meiner Behandlung interessiert mich selbst auch. Ich schicke durchaus Personen weiter, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Verfahren und ihr Problem nicht zusammenpassen.

Aber ist man da nicht auch limitiert durch das System? Zum Beispiel, wie weit ich zu meiner Therapie fahren muss? Oder dann hat die Wunschperson einfach keine Zeit für mich.

Jana Campbell: Ja, es ist sehr schwierig den passenden Therapeuten zu finden. Die Auswahl ist oft begrenzt. Das soll Patientinnen und Patienten nicht entmutigen, aktiv nach dem «richtigen» Therapeuten zu suchen.

Elisabeth Möller: Ich gebe den Leuten für ambulante Therapien immer mit auf den Weg: «Schauen Sie genau hin, und suchen Sie weiter, wenn es nicht passt.»

Daniel Zehnder: Manche haben auch gar nicht den Mut, zu beurteilen, ob es passt. Sie verlassen sich darauf, einer Fachperson gegenüber zu sitzen, die weiss, was sie tut. Das zeigt die grosse Verantwortung, die wir als Psychotherapeuten haben. Auf der Suche nach einer geeigneten Therapeutin oder einem geeigneten Therapeuten können persönliche Empfehlungen ein guter Weg sein. Oder man beschafft sich Informationen von Berufsverbänden und mittels der Netzwerke zu Krankheitsbildern.

Und wenn alles nichts nützt? Wie gehen Sie mit Misserfolg um?

Daniel Zehnder: Vielleicht war der Zeitpunkt falsch oder die therapeutische Beziehung nicht tragfähig genug. Ich plädiere dafür, dass Schwierigkeiten im Therapieprozess frühzeitig und transparent besprochen werden, immer mit der Prämisse, dass die Therapie freiwillig ist.

Jana Campbell: Bei Misserfolg suche ich den Austausch mit Arbeitskollegen und Supervisoren und versuche, herauszufinden, woran es liegt. Wenn ich merke, dass ein Problembereich mir selber zu nahe geht und ich nicht objektiv bleiben kann, dann gebe ich den Patienten an einen anderen Therapeuten weiter.

Was motiviert Sie für Ihre Arbeit?

Daniel Zehnder: Ich erlebe es als Privileg, dass ich mir die Zeit nehmen darf, um Veränderungsprozesse einer Person zu begleiten, wobei Wertschätzung, Vertrauen, Offenheit, ein geschützter Rahmen, Kreativität – alles Werte, die mir persönlich viel bedeuten – eine grosse Rolle spielen.

Jana Campbell: Auch wir Therapeuten durchlaufen Veränderungsprozesse. Anfangs war ich bestärkt durch schnelle Erfolge. Mit zunehmender Berufserfahrung bin ich gelassener geworden und freue mich mehr über Aspekte, die langfristig wirken oder einen Prozess in Gang setzen, der erst später, aber nachhaltig Früchte trägt. Ich bin dankbar, dass auch ich von meinen Patienten viel lernen kann. Es gibt Menschen, die haben trotz schwerster Beeinträchtigung einen ungeheuren Überlebenswillen und beeindruckende Stärken. Das motiviert mich.

Elisabeth Möller: Mich motivieren die Veränderungsprozesse. Ich arbeite psychodynamisch. Da geht es um verinnerlichte Normen und Werte, die dysfunktional geworden sind. Wenn sich da Korrekturen einstellen, beeindruckt mich das sehr.

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