Zwangserkrankungen: Symptome und Diagnose

Zwangserkrankungen: Symptome und Diagnose

Im ersten Teil zu Zwangserkrankungen wird beschrieben, was Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sind.

Die Zwangserkrankung ist eine häufige psychiatrische Erkrankung. Dabei stehen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen im Vordergrund. Viele Menschen kennen solche Gedanken, die bei einer Zwangserkrankung auftreten. Auch führen sie solche Handlungen aus, wie zum Beispiel etwas Seltsames zu sammeln. Deswegen haben sie aber noch keine Zwangserkrankung. Eine Zwangserkrankung ist es dann, wenn die Zwänge aufwendig sind und fast jeden Tag auftreten. Sie sind über einen längeren Zeitraum vorhanden und belasten die betroffene Person. Diese empfindet die Zwänge als quälend und fühlt sich sowohl in ihrem Wohlbefinden als auch in ihrem Alltag beeinträchtigt.

Zwangsgedanken
Zwangsgedanken kann man an unterschiedlichen Zeichen erkennen. Sie sind Befürchtungen, die sich in Sätzen, bildhaften Vorstellungen oder Impulsen äussern. Dazu kommt, dass sie sich aufdrängen. Das heisst, sie kommen auch, wenn man dies zu verhindern versucht. Zwangsgedanken kommen immer wieder. Sie werden oftmals von bestimmten Personen oder Situationen ausgelöst. Es muss jedoch nicht immer einen Auslöser für Zwangsgedanken geben. Häufig sind sie übertrieben, nicht an der Realität orientiert oder sogar unsinnig. Auch wenn Betroffene erkennen, dass ihre Zwangsgedanken unsinnig sind, zweifeln sie dann im Moment, in dem der Gedanke auftritt, doch daran.

Zwangsgedanken sind in jedem Fall belastend für die betroffenen Personen. Oftmals sind sie auch beängstigend oder bedrohlich. Sie können unterschiedlicher Natur sein, es gibt keinen «typischen» Zwangsgedanken. Sie drehen sich oft um Verunreinigung und Verschmutzung, Aggression oder Sexualität, Symmetrie und Ordnung sowie Körperausscheidungen, sich selbst oder andere zufällig zu verletzen sowie magisches Denken. Bei letzterem vermuten die Betroffenen einen Zusammenhang zwischen negativen Gedanken und einem schlimmen Ereignis, zum Beispiel «Wenn ich auf die Linie trete, stirbt ein Familienmitglied». Zwangsgedanken beeinflussen das Verhalten insofern, dass die betroffene Person etwas tut, um sie nicht mehr zu denken. Sie führen oft dazu, dass bestimmte Personen oder Situationen vermieden werden. Schlimmstenfalls können sie dazu führen, dass jemand das Haus gar nicht mehr verlässt. Zudem lösen Zwangsgedanken oft Zwangshandlungen aus.

Zwangshandlungen
Zwangshandlungen werden bewusst durchgeführt, um ein bestehendes schlechtes Gefühl zu vermindern. Sie können in körperliche und gedankliche Zwangshandlungen unterteilt werden. Körperliche Zwangshandlungen sind von aussen sichtbar, wie etwa wiederholtes Händewaschen. Gedankliche Zwangshandlungen finden im Kopf statt. So denkt die betroffene Person zum Beispiel mehrmals einen Gedanken, um einen anderen wieder ausser Kraft zu setzen. Sie können als Ersatz für körperliche Zwangshandlungen dienen, wenn es der betroffenen Person etwa peinlich ist, die Handlung an einem öffentlichen Ort auszuführen. Zwangshandlungen führen kurzfristig zum Abbau negativer Gefühle. Sie verringern Angst, Ekel oder Anspannung. Ausserdem dienen sie oft dazu, sich gegenüber negativen Folgen von Zwangsgedanken abzusichern, zum Beispiel «Wenn ich mir die Hände wasche, wasche ich gefährliche Krankheitserreger ab», wobei der Zwangsgedanke wäre «Habe ich mich beim Händeschütteln mit einer gefährlichen Krankheit angesteckt?».

Die Zwangshandlungen wirken insofern nur kurzfristig, als der Spannungsaufbau bei erneuter Konfrontation mit einem Auslöser wieder von vorne beginnt. Dies führt dazu, dass Zwangshandlungen immer wieder durchgeführt werden. Abhängig von der Stärke der Erkrankung werden mehr oder weniger Zwangshandlungen am Tag durchgeführt. Zwangshandlungen werden häufig mehrmals direkt hintereinander ausgeführt. Die Wiederholungen wirken wie ein Ritual – es wird immer die gleiche Handlungsabfolge wiederholt. Wenn die Handlungsabfolge nicht exakt gleich wiederholt wird, muss die betroffene Person wieder von vorne beginnen, da sonst keine Erleichterung von den negativen Gedanken erreicht wird. Damit ein solches Ritual abgeschlossen werden kann, setzen sich Betroffene jeweils eine Anzahl Wiederholungen fest, die durchgeführt werden müssen. Diese Zahl hat oftmals eine spezielle Bedeutung für die Betroffenen, beispielsweise ihre Glückszahl.

Zwangshandlungen sind oftmals übertrieben, nicht geeignet, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, oder geradezu sinnlos: Zum Beispiel wäscht sich die betroffene Person siebenmal die Hände. Das Händewaschen an sich ist nicht unsinnig, aber die Wiederholungen stehen in keinem Verhältnis zur realen Verschmutzung der Hände. Gleich wie bei den Zwangsgedanken haben Betroffene die Einsicht, dass die Handlungen keinen Sinn machen. Tritt jedoch eine auslösende Situation ein, zweifelt die Person wieder an der Sinnlosigkeit und möchte das negative Gefühl um jeden Preis loswerden. Den Betroffenen ist es beinahe unmöglich, eine Zwangshandlung zu unterdrücken. Die negativen Gefühle, wie Angst, Ekel und Unbehagen sind sehr stark und lassen sich anders nicht beseitigen. Ausserdem fühlen sich die Betroffenen so, als hätten sie etwas nicht richtig abgeschlossen, sie fühlen eine Unvollständigkeit. Dazu kommt bei einigen die Befürchtung, dass etwas Schlimmes eintritt, wenn sie die Zwangshandlungen nicht richtig ausführen. Das erschwert das Unterlassen zusätzlich.

Beim Eintreten der Erkrankung ist es oft noch einfacher, die Zwangshandlungen zu unterlassen, doch je weiter sie fortschreitet, desto schwieriger wird dies. In der gewohnten Umgebung wie zuhause lassen sich die Handlungen weniger leicht unterdrücken als in der Öffentlichkeit. Wie auch bei den Zwangsgedanken gibt es keine «typische» Zwangshandlung. Die häufigsten Zwangshandlungen können grob eingeteilt werden in die Kategorien Waschen und Reinigen, Kontrollieren, Rituale zur Kontaktvermeidung, Ordnen, Wiederholen und Zählen.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Wie bereits aufgezeigt, ist es den Zwangsgedanken und –handlungen gemein, dass sie immer wieder kommen. Beide sind unsinnig und übertrieben, schwer zu kontrollieren und brauchen viel Zeit am Tag. Die Betroffenen nehmen sie als quälend und belastend wahr.

Die Unterschiede zwischen Zwangsgedanken und –handlungen sind einerseits, dass sich die Gedanken aufdrängen, während die Handlungen bewusst ausgeführt werden. Andererseits lösen die Gedanken schlechte Gefühle aus, während die Handlungen schlechte Gefühle verringern. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen treten bei den meisten Personen mit einer Zwangsstörung gemeinsam auf.

Teil 2: Herkunft und Ursache

Teil 3: Therapie und Behandlungsmöglichkeiten

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